Im Augenblick beschäftigen sich die Fußballfans mit vielen Dingen, die sie zweifeln und nachdenken lassen. Ob WM 2022, UCL-Reform, Super Liga oder viele andere Dinge. Wir veröffentlichen auf nk12.de Texte aus der Fanszene!
„Was ist bloß mit meinem Fußball los?“
Gut ein Jahr Pandemie haben wir nun auf der Uhr. Gut ein Jahr seit dem wir das letzte mal so richtig frei sein konnten bei einem Fußballspiel. Für uns Bayer-Fans war der Ausflug nach Glasgow mit Sicherheit eins der Highlights der letzten Jahre. Einiges ist seit dem passiert, quasi ein auf und ab der Gefühle, welches wir Fußballfans mitmachen müssen. Wo stehen wir eigentlich heute und wo soll das alles noch hinführen? Das möchten wir heute einmal mit euch aufnehmen und gerne auch im Anschluss diskutieren.
Von Demut war die Rede, als die Bundesliga Anfang Mai nach zehnwöchiger Pause wieder mit dem Spielbetrieb startete. „Keine Sonderrolle“, wie oft haben wir das in den letzten Monaten gehört? Die ominöse „Demut“, wo ist sie hin? Erst vor wenigen Tagen haben wir wieder wunderbare Beispiele für diese Heuchlerischen Aussagen gesehen. Da wird ein Spieler der Nationalmannschaft positiv auf Corona getestet (wer wurde gar nicht erst erwähnt, auch nicht schlecht) und dann passiert nichts. Arbeitnehmer müssen in solchen Momenten in Quarantäne. Alle Kontaktpersonen ersten grades. Auch in anderen Sportarten wird dies meist so gehandhabt. In der Bundesliga oder bei den Nationalmannschaften, da gelten einfach andere Regeln und Gesetze.
Und dann ist da noch der ominöse „Protest“ der Nationalmannschaft für Menschenrechte im Hinblick auf die WM in Katar. Wer hat sich das denn bitte wieder ausgedacht? Also wirklich.
Mal kurz einen Spruch auf T-Shirts gepinselt und damit soll das Thema abgetan sein? Wirklich dünn, sehr dünn.
Irgendwie weiß man vor lauter Themen gar nicht wo man anfangen soll. „Was ist bloß mit meinem Fußball los“ frage ich mich seit den letzten Monaten immer wieder. Ja, in den letzten 10 Jahren haben wir Fußballfans immer wieder Veränderungen mit gemacht, uns oft gefragt, wann die ominöse rote Linie eigentlich überschritten ist aber am Ende sind wir immer wieder hin. Unsere Sucht. Freunde Treffen, übers Spiel schnacken, Bierchen trinken und in der Kurve ein paar Lieder grölen. All das hat uns immer wieder drüber hinweggesehen lassen über die vielen Schattenseiten des Geschäfts Profifußball.
Nun fällt aber diese beachtliche Teil weg und uns Fans droht noch mehr von dem weggenommen zu werden, weswegen wir eigentlich so gerne in die Stadion dieser Länder gepilgert sind.
Auf der einen Seite keine wirklichen Reformen in den Bundesligen. Sowohl bei einer möglichen Umverteilung der TV Gelder, als auch bei der Taskforce Profifußball konnten keine gravierenden Änderungen erzielt werden. Viel bla bla und alles strategisch aber wirkliche Änderungen, die den Sport wieder fairer und attraktiver machen leider Fehlanzeige.
In Europa sieht es nicht wirklich besser aus. Sicher begegnet uns nächstes Jahr die neue „Europa Conference League“. Was ist das überhaupt? Ich hab keine Ahnung und wills auch gar nicht wissen glaube ich, auch wenn unser Weg da nächstes Jahr hinführen könnte. Zu diesem Überfluss haben nun auch noch die Drohgebärden der großen Clubs wohlmöglich dazu geführt, dass die gesamte Champions League reformiert wird und es fast doppelt so viele Spiele geben soll (225 statt 125). Noch mehr? Ich bin als Fan doch schon mehr als satt, wie gehts eigentlich den Spielern dabei? Findet man das wirklich geil?
Besonders Fair soll es nach den Reformen 2024 dann auch vorgehen. Wenn man als großer Club mal eine Saison nur 5. in der nationalen Liga wird ist man trotzdem in der Champions League dabei. Ja Mensch, klingt das nicht fair?
Immer mehr Kohle machen. Mehr Spiele. Mehr TV Sender. Mehr Länder. Mehr mehr mehr mehr. Ich bin weiß Gott kein Kapitalismus Kritiker, im Gegenteil. Aber wo wollen wir hin mit unserem Fußball? Was hat das noch mit der eigentlichen Grundidee des Sports und seines Erfolges zu tun? Dem ganzen setzt die Krone auf, dass die WM 2022 wirklich in Katar ausgetragen werden soll. Wie absurd. 6.500 Menschen mussten bereits ihr leben lassen, damit in Katar noch mehr Geld gescheffelt werden kann. Koste es was es wolle. Und was fällt uns aktuell dazu ein? Eine T-Shirt Aktion vor dem letzten Länderspiel. Beschämend…
„Was ist bloß mit meinem Fußball los?“
Ich weiß es nicht, es lässt mich ratlos zurück und lässt mich umso kritischer nach vorne schauen. Wie wird es wohl alles so sein, wenn es eines Tages wieder zurück in volle Kurven geht? Hoffentlich in eine andere Richtung…
Der Profi-Fußball im gesellschaftlichen Abseits?
Vor nicht allzu langer Zeit hat Kicker Online seine Leserinnen und Leser gefragt: „Hat Corona die Entfremdung vom Profi-Fußball vorangetrieben?“ Weit über 80% der Teilnehmenden beantwortete dies mit „Ja“. Nun muss man sich vor Augen führen, dass der Kicker sicherlich nicht nur von aktiven Fans gelesen wird, sondern auch von vielen Fußballinteressierten, die nur selten ein Stadion von innen sehen und deren aktives Fanleben aus Sky und einem neuen Trikot pro Saison besteht.
Menschen aus der aktiven Fanszene hätten diese Frage wahrscheinlich schon vor Jahren mit „Ja“ beantwortet und mit jeder Saison ein bisschen mehr.
Doch die Corona-Pandemie wirkt bei allen, übrigens auch bei Menschen, die sich nicht für die Bundesliga, Champions League oder Nationalmannschaft interessieren, wie ein Brandbeschleuniger. Das Universum, in dem sich der Profi-Fußball und seine Akteure bewegen, scheint sich immer weiter zu entfernen.
Während wir uns alle täglich einschränken, rollt der Ball unbeirrt weiter. Lösten leere Stadien anfänglich noch Entsetzen aus, sind die leeren Tribünen heute beinahe Normalität. Aber was sind die Gründe dafür, dass sich immer mehr Fans abwenden?
Da sind die Reisebeschränkungen, die uns Normalsterbliche fast alle hart treffen. Urlaub? Nicht möglich. Besuch von Familie und Freunden im Ausland? Nicht möglich.
Der Fußball sucht sich derweil privilegierte Lösungen auf seine ganz eigene Weise. Nur ein Beispiel: das Champions-League-Achtelfinale zwischen Manchester City und Borussia Mönchengladbach.
Weil die Spieler von City nicht nach Deutschland einreisen durften – die Sieben-Tage-Inzidenz in Manchester betrug zum Austragungstermin 83 – verlegte man das Spiel kurzerhand nach Budapest.
Die dortige Inzidenz betrug zum gleichen Zeitpunkt rekordverdächtige 625. Klingt nach Irrsinn? Ist es auch. Im selben Zeitraum wurden auch die Partien Atletico Madrid gegen Chelsea und Molde gegen Hoffenheim verlegt – nach Bukarest und Villareal.
Reisen also, die die Teams quer über den verseuchten Kontinent führen und die nur dem Zweck dienen, irgendwie für alle bestehende Regeln zu umgehen. Wem lässt sich die Reisefreudigkeit der Fußballprofis nachvollziehbar erklären, während unsere Bundeskanzlerin seit einem Jahr von sämtlichen Reisen abrät und die Bevölkerung bittet, zuhause zu bleiben? Während sich die meisten Bürgerinnen und Bürger daran halten, jetten Fußballprofis für Länderspiele und interkontinentale Turniere durch die Weltgeschichte. Hauptsache der Ball rollt.
Und der Rubel natürlich.
Statistisch gesehen wurde mittlerweile fast jeder zehnte Bundesligaprofi positiv auf Covid-19 getestet. Während ein einziger positiver Fall in einer Kindergartengruppe zur 14-tägigen Quarantäne für ALLE Kinder führt, müssen sich positive Profikicker alleine in Quarantäne begeben. Der restliche Kader inklusive Staff ist hiervon normalerweise nicht betroffen, zumindest nicht in der ersten Liga. Warum ist das so? Natürlich lassen sich Kindergartengruppen und Bundesligamannschaften nicht miteinander vergleichen (obwohl man bei so mancher Schwalbe meinen könne, beim vermeintlich Gefoulten handle sich um ein Kindergartenkind). Erst- und Zweitliga-Profis aber sehr wohl. Da mutet es doch seltsam an, dass sich zwar diverse Zweitligisten geschlossen in Quarantäne begeben mussten, jedoch noch kein Team aus dem Oberhaus; nicht einmal Teams, bei denen es wie bei der TSG Hoffenheim gleich mehrere Spieler innerhalb einer Woche erwischte. Halten sich die erstklassigen Profis also einfach besser an die Maßgaben oder ist der Druck auf die Gesundheitsämter in München, Dortmund oder Leverkusen einfach größer als in Kiel oder Regensburg? Diese Frage lässt sich final nicht beantworten. Ein fader Beigeschmack bleibt, insbesondere für Eltern, die wegen eines Coronafalls ihre kleinen Kinder durch die häusliche Isolation begleiten müssen.
Ein weiterer Grund für die Entfremdung des Profifußballs von der Mitte der Gesellschaft hat mit der Pandemie nur indirekt etwas zu tun, kochte aber in den vergangenen Wochen wieder hoch. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 wird in Katar stattfinden, also in einem Land, das mit Fußball so viel am Hut hat, wie Deutschland mit Cricket. Eine Cricket-WM in Deutschland wäre wohl nur schwer vorstellbar. In der Fußballwelt der FIFA sieht das anders aus. Schon bei der Vergabe 2011 wurden Korruptionsvorwürfe laut. Niemandem leuchtete ein, wie man das größte Fußballturnier der Welt an einen kleinen Wüstenstaat ohne Fußallkultur vergeben konnte. Korruption ist seit Jahren ein Problem innerhalb des Fußballweltverbandes. So filmte eine englische Zeitung zum Beispiel die Vertreter der Mitgliedsverbände Tahiti und Nigeria dabei, wie sie ihre Stimmen für die WM-Vergabe zum Kauf anboten. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren das nicht die einzigen käuflichen Stimmen und so kam es, wie es kommen musste: Das Land mit dem meisten Geld erhielt den Zuschlag für die Austragung der WM.
Geld, das im Übrigen überall, aber nicht auf den Konten der dort beschäftigten Arbeitsmigranten landet. Bereits im September 2013 berichtete der englische Guardian über die Ausbeutung von Gastarbeitern. Allein im Sommer 2013, so die Zeitung, verstarben 44 Nepalesen auf den Stadionbaustellen von Katar. Kurz darauf berichtete auch Amnesty International von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, Zwangsarbeit und systematischer Ausbeutung. Der Aufschrei des Fußballweltverbandes und seiner Mitglieder blieb aus. Sepp Blatter schob die Verantwortung den Bauunternehmen zu und wies jegliche Mitschuld von sich. In den Folgejahren berichteten Amnesty und weitere unabhängige Quellen in regelmäßigen Abständen von den unmenschlichen Bedingungen auf Baustellen in Katar. Der Guardian war es vor einigen Wochen auch, der mit seinem Bericht erneut auf die hohen Todeszahlen hinwies. So kostete die Fußballweltmeisterschaft zwischen 2011 und Herbst 2020 insgesamt mindestens 6751 Menschen das Leben, die zum Arbeiten ins Emirat gekommen waren. „World cup of shame“ – so nennt Amnesty International das Turnier schon lange.
Auch die deutsche Nationalmannschaft wurde neun Jahre nach Vergabe der WM unlängst auf die Bedingungen aufmerksam. Mit drei T-Shirt- und Spruchbandaktionen versuchte man, sich für Menschenrechte stark zu machen. Im Nachhinein wurde der Mannschaft Symbolpolitik vorgeworfen. Bei dieser darf es nicht bleiben. Während Franz Beckenbauer sagte, er habe „nicht einen einzigen Sklaven in Katar g’sehn“, muss der DFB seiner Verantwortung gerecht werden und weiter auf die Einhaltung aller Menschenrechte in Katar pochen. Die WM darf Katar nicht zum weit verbreiteten “Sportswashing”, dem gezielten Nutzen von Wettkämpfen zur Reinwaschung des Images, dienen. Amnesty International schreibt dazu: „Mehr als auf einen Boykott hoffen die Menschen, die in Katar unter den menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen leiden, auf internationale Solidarität, die das Sportereignis in die Pflicht nimmt.
Ihre Hoffnung liegt weniger auf einer Absage der Spiele, die die bereits erreichten Erfolge für ihr Leben und ihre Arbeit in Luft auflöst, sondern auf einer internationalen Aufmerksamkeit, die wirkungsvoll und laut auf weitere Verbesserungen drängt.“ Es liegt an uns allen, den Druck auf den DFB hochzuhalten.
All diese Punkte zeigen wie weit der Profi-Fußball sich mittlerweile von der Lebensrealität und dem Verständnis der Menschen entfernt hat. Die Tatsache, dass ein Protest in den Stadien zur Zeit kaum möglich ist, sorgt nur für weitere Frustration. Die Entwicklung ist im Grunde genommen nicht neu, aber in der aktuellen Zeit wird deutlicher denn je, dass im Profi-Fußball nur eins zählt: der Profit.