Bayer Leverkusen Quito
In loser Reihenfolge und ungezwungenem Rhythmus präsentieren wir euch wie gehabt den ein oder anderen interessanten Bericht als Auszug aus dem “NaktUL” hier in komplett öffentlicher Form zum Nachlesen. Gerade jetzt in der Sommerpause passt folgender Reisebericht besonders gut ins Programm. Geht mit uns auf eine Reise nach Südamerika und erfahrt von Pascal wie er die “südamerikanische Kopie” unseres Vereins ausfindig gemacht hat und sich zum ersten Ligaspiel ins Stadion begab, wie der dortige Klassiker gegen den FC Liverpool ausging und vor allem wie die Einheimischen auf den echten Leverkusener reagiert haben.
“Wer schon einmal längere Zeit von seiner Liebsten getrennt war, der wird bestätigen können, dass Fernbeziehungen in den seltensten Fällen für beide Parteien zufriedenstellend sind. Und auch für mich sollte es in den ersten Wochen und Monaten nach dem Umzug nach Ecuador so sein. In Deutschland eilte der Bayer nach kleineren Anlaufschwierigkeiten von Sieg zu Sieg und machte sich auch noch auf Erkundungstour durch das europäische Ausland. Ich hingegen hing 7.000 km entfernt vor irgendwelchen Livestreams oder dem Radio. Nach jedem gewonnen Spiel war ich zwar irgendwie glücklich, dass wir die Punkte geholt hatten, andererseits auch wieder traurig, dass ich diese Momente nicht mit den Freunden in der Kurve hautnah miterleben konnte. Der Höhepunkt war dann sicherlich mit dem triumphalen Sieg in München erreicht.
Während ich aus der Ferne miterleben musste, wie Geschichte geschrieben und ein Amateur im Europacup zur Legende wurde, erinnerte ich mich an die Facebook-Seite „Bayer Leverkusen Quito“. Auf diese hatte mich zum Glück ein Freund noch kurz vor der Abreise aufmerksam gemacht. Auf meine Nachrichten in Englisch erfolgte aber leider keine Reaktion. So war nicht ganz klar, was diese Gruppe bedeutete und in welcher Verbindung die Seite zum Verein der Farbenstadt stand. Mit etwas detektivischem Geschick konnte ich herausfinden, dass es sich bei besagter Gruppe um den Internetauftritt einer Fußballmannschaft handelt, die hier in einer „Liga barrial“ als Bayer Leverkusen spielt. Nun war das Interesse geweckt, diese Gruppe kennenzulernen. Was führt Menschen in den Anden dazu, in den Farben eines kleinen rechtsrheinischen Vereins aufzulaufen? Welche Verbindungen bestehen in die Farbenstadt? Wie bekannt ist die Geschichte des Vereins?
Nachdem mit noch mehr detektivischem Spürsinn der Spielplan sowie der Spielort der Liga ausfindig gemacht werden konnte, stand dem Blind Date endlich nichts mehr im Wege. Als ich dann an einem sonnigen Sonntagvormittag tatsächlich das Stadion der „Liga Barrial Los Libertadores“ erreichte und auf der Tribüne Platz nahm, fiel sofort die Betonwand hinter einem der Tore auf. Jede teilnehmende Mannschaft hatte mehrere Quadratmeter zur Verfügung, um das Logo des Vereins aufzumalen. So stand ich also irgendwo im tiefsten Süden der ecuadorianischen Hauptstadt, in einem Viertel, welches die meisten Touristen wohl kaum besuchen würden. Und da erblickte ich, umgeben von den Logos argentinischer Vereine, unser Vereinswappen, ergänzt um den Spruch „Sangre de Corazon“ (dt. „Herzblut“). Irgendwie surreal, das Bayerkreuz hier sehen zu dürfen. Zunächst lief noch ein anderes Spiel, so dass ich mir schonmal ein Bild vom Niveau des gebotenen Sports machen konnte. Darüber verlieren wir an dieser Stelle lieber kein weiteres Wort. Als der Kick dann endlich zu Ende war, sollte unser SVB einen altbekannten und beliebten Gegner empfangen. Denn heute gaben sich die „Reds“ aus Liverpool die Ehre. Nostalgie pur.
Vor dem Spiel kam ich in Kontakt mit den Spielern und Fans. Als sie mein Bayer-Shirt erblickten und hörten, dass ich aus Deutschland komme, waren alle sofort sehr gastfreundlich und nahmen mich in ihre Mitte auf. Während sich die Jungs in ihre schwarz-roten Trikots zwängten, die sie den Originalen sehr detailgetreu nachempfunden haben, sprach ich mit den Fans der Mannschaft. Die Fangruppe setzte sich aus den Frauen, Kindern und Freunden der Spieler sowie ausgedienten Ex-Spielern zusammen. Einige der Fans waren auch in selbstgestalteten Bayer-Shirts gekleidet oder trugen Caps mit unserem Emblem. Die Damen überreichten mir dann auch einen ihrer Liederzettel, auf denen sie rund 15 verschiedene Anfeuerungsgesänge notiert hatten, die sie im Laufe des Spiels immer wieder zum Besten geben sollten.
Mit landestypischer Verspätung begann der langerwartete Klassiker auf dem rasenlosen und recht holprigen Feld endlich. Beide Mannschaften spielten verbissen und schenkten sich nichts. Es ging rauf und runter und am Ende stand – wie sollte es anders sein – ein 4:3 Heimsieg für den Bayer zu Buche. Nach dem Spiel beschnupperten wir uns gegenseitig. Auch die Ecuadorianer hatten Fragen an mich. So wurde ich zum Beispiel gefragt, was denn „Leverkusen“ bedeuten würde, da man davon ausgegangen, „Bayer“ wäre der Stadtname. Wie ich herausfinden konnte, wurde die Mannschaft schon 1991 gegründet, also etliche Jahre vor unserer größten Glanzzeit. Dementsprechend unspektakulär ist auch die Entstehungsgeschichte: Man nahm sich eine Liste der damals aktuellen Erstligisten und blieb schließlich beim Bayer hängen. Immerhin sind sie nicht bei den Ziegen gelandet. Auch zur Stadt- und Vereinsgeschichte war kein bzw. kaum Wissen vorhanden. Geographisch einordnen konnte man Leverkusen auch nicht, aber wer würde das erwarten? Zum Verein war schon etwas mehr Wissen vorhanden. Die Ecuadorianer sind ziemlich fußballbegeistert und konnten zu Stichworten wie Völler, Ballack oder Lucio schon etwas sagen. Auch das Finale von Glasgow war noch präsent. Aus dem aktuellen Kader war kein Spieler bekannt, einzig Sami weckte bei manchen Erinnerungen. In den nächsten Wochen und Monaten werde ich also noch Einiges an Aufklärungsarbeit vor mir haben. Irgendwann wurde es dann Zeit zu gehen. Diverse Fanartikel, die man mir schenken wollte, gab ich mit dem Hinweis darauf zurück, dass ich es viel cooler finde, wenn sie als Einheimische unsere Farben in der Stadt vertreten. Natürlich wurde noch ein gemeinsames Foto gemacht und mit dem (inzwischen eingelösten) Versprechen, auf jeden Fall mal wieder vorbeizuschauen, ging ich wieder nach Hause, wo die Geliebte aus der Farbenstadt schon wieder ungeduldig auf ein Date per Livestream wartete… “