Vor etwa 14 Tagen hat der Bundesgerichtshof ein Urteil über Stadionverbote gesprochen. Dieses Urteil enthält genau genommen zwei Punkte. Zum einen bestätigt es letztlich das Hausrecht der Vereine, in dem es die Vergabepraxis für zulässig erklärt, zum anderen lässt es zu, dass Stadionverbote auf Verdacht ausgesprochen werden. Die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen alleine kann ausreichen, um ein Stadionverbot auf Verdacht zu rechtfertigen. Ist ersteres zwar für die Betroffenen unschön, aber juristisch nachvollziehbar, so ist zweiteres ein Freifahrtschein für staatliche Willkür. Mag er auch nicht durch das Urteil beabsichtigt sein, so ist er doch vorhanden, wenn bereits die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppierung ausreicht, um auf Verdacht (!) Stadionverbote auszusprechen. Es muss also nicht einmal eine Straftat begangen worden sein.
Dieser Zustand ist unseres Erachtens unhaltbar. Wir vermögen nicht zu beurteilen, inwieweit das juristisch korrekt sein mag. Aber der gesunde Menschenverstand und das Gerechtigkeitsempfinden eines klar denkenden Menschen sollten klar werden lassen, dass diese Regel so nicht haltbar sein darf. Denn was bedeutet dieses Urteil in der Praxis tatsächlich? Es muss nicht mehr wegen einer Straftat gegen einen Stadionbesucher ermittelt werden – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens am Ende – sondern es reicht bereits aus, dass man vermutet, ein Stadionbesucher könne womöglich Straftaten begehen, weil er zu einer bestimmten Gruppe gehört. Es ist unzweifelhaft so, dass es Personen gibt, von denen Gefahren ausgehen, deren Hauptinteresse am Fussball die sogenannte dritte Halbzeit ist, die eine Gefahr für andere darstellen. Oftmals treten diese Personen auch in Gruppen auf bzw. gehören Gruppierungen an. Deswegen aber alle Mitglieder einer solchen Gruppierung unter Pauschalverdacht zu stellen öffnet der Willkür Tor und Tür.
So kann ein Verein mit diesem Urteil im Rücken jeden x-beliebigen oder besser missliebigen Fan ausschließen, weil schon der Verdacht ausreicht, er könne zukünftig womöglich einmal Gewalttaten begehen. Es gibt sicher Fans, auf die das zutrifft, wie schnell man aber auch als Unbeteiligter in Schwierigkeiten geraten kann, zeigt ein Beispiel vom vergangenen Freitag. Hier wurde am Kiosk am Küppersteger Kreisel eine Gruppe von Fans und Passanten unterschiedlicher Couleur durch die Polizei eingekesselt. Die anwesenden Fans wurden – teils unter Androhung von Gewalt – durch die Polizei aufgefordert, ihre Personalien anzugeben. Hintergrund war, dass die Polizei in dierser Gruppe Fans vermutete, die unter Verdacht standen in einiger Entfernung vom Kiosk auf der Windhorststraße Pyrotechnik gezündet zu haben. Keine Frage, das ist verboten und wenn die Polizei so etwas mitbekommt, kann sie dagegen vorgehen. Die Frage ist nur: wie geschieht das? Muss man dafür eine ganze Gruppe Menschen einkesseln und festhalten, um alle Personalien festzustellen? Verspricht dies Erfolg, die wirklich Schuldigen zu Identifizieren? Die vollkommen überzogene Reaktion der Polizeibeamten zeigt, wie schnell man einer Gruppierung zugeordnet werden kann, ohne dieser Gruppierung anzugehören. Denn neben Fußballfans waren zu diesem Zeitpunkt auch Passanten unterwegs, Arbeiter auf dem Weg zur Nachtschicht, Ordner von Baysecur auf dem Heimweg, also Personen, die mit den feiernden Fans schlicht nichts zu tun hatten, sondern schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Natürlich kann man argumentieren, dass man sich gewissen Gruppierungen fernhalten sollte, wenn man weiß, dass im Umfeld dieser Gruppierungen immer wieder Gewalttätigkeiten festzustellen sind. Aber dieser Vorfall zeigt, dass selbst das nicht zwingend etwas hilft, weil man schnell und eben doch wirklich zufällig in eine Polizeiaktion hineingeraten kann, ohne einer dieser Gruppierungen anzugehören. Theoretisch könnte nun der Verein Bayer 04 Leverkusen gegen alle diese Personen Stadionverbote aussprechen. Wir gehen davon aus, dass unser Verein hier verantwortungsvoll handelt und dies nicht tun wird. Es müsste eigentlich nun zu erwarten sein, dass der Verein auf die für die Aktion verantwortlichen Stellen bei der Polizei zugeht. Aber es ist ein unhaltbarer Zustand, dass man als Fussballfan auf Sachverstand und Fingerspitzengefühl bei den Vereinen hoffen muss und keine Rechtssicherheit hat. Dass aller Wahrscheinlichkeit nach nicht alle Fans auf dieses Fingerspitzengefühl hoffen dürfen, zeigt der Umgang mit Stadionverboten auch bis jetzt schon. So sieht die DFB-Richtlinie hierzu vor, dass Fans, die von der Erteilung eines Stadionverbotes betroffen sind, hierzu angehört werden. Längst nicht alle Vereine aber machen von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Wir möchten als Nordkurve12 klarstellen, dass wir Gewalttätigkeiten jedweder Form ablehnen und uns entschieden davon distanzieren. Ebenso klar aber beziehen wir Position gegen die Rechtsauffassung des BGH und den sich daraus ergebenden Folgen. Wir appellieren an die Vereine sowie die staatlichen Institutionen, dieses Urteil nicht als Freifahrtschein für Willkür zu interpretieren und zu nutzen, sondern verantwortungsvoll damit umzugehen. Der Dialog mit den Fans ist und bleibt das wichtigste Instrument, Konfrontation und einseitige Demonstration der Stärke werden nicht zu einer Besserung der Lage beitragen. Es bleibt nun abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht entscheidet und es bleibt zu hoffen, dass das Urteil des BGH in dieser Beliebigkeit einkassiert wird. Stadionverbote und Hausrecht ja, aber nicht auf Verdacht!